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Aus erster Hand

Ausgabe Nr. 100
Sep. 2013
Lebensstil und Gesundheit

Editorial Pascal Strupler. Im letzten Jahrhundert sind viele Italienerinnen und Italiener in die Schweiz eingewandert. Die meisten von ihnen verdienten ihren Lebensunterhalt in körperlich harten Berufen – auf dem Bau, in Hotels oder in grossen Fabriken. Ihre Kinder gingen hier zur Schule und konnten so andere Berufsziele verfolgen. Sie lernten nicht mehr mauern und servieren, sondern wurden Bankangestellte, Geschäftsleute oder Juristinnen und Juristen. Viele von ihnen liessen sich einbürgern, studierten an unseren Universitäten und übernahmen politische Ämter. Sie haben sich integriert und sind heute nicht mehr wegzudenken aus unserer Gesellschaft.

Das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich hat die Lebenserwartung dieser Immigrantinnen und Immigran­ten, aber auch ihrer Kinder untersucht. Das Resultat ist auf den ersten Blick erstaunlich: Die erste Generation der Eingewanderten lebt im Durchschnitt länger als die Schweizerinnen und Schweizer. Und dies, obwohl sie nicht nur härter arbeiteten als die «Eidgenossen», sondern in der Regel auch mehr rauchten und weniger Sport trieben. Noch erstaunter nimmt man das zweite Ergebnis der Studie zur Kenntnis: Die «Secondos» – ihre Kinder – sterben im Durchschnitt früher als Menschen, die seit je in der Schweiz leben.

Des vermeintlichen Rätsels Lösung heisst «Lebensstil». Die eingewanderten Italienerinnen und Italiener der ersten Generation verhielten sich so wie «zu Hause». Sie kochten mit Olivenöl (statt mit Butter), sie assen viel Fisch und Gemüse und sie tranken massvoll Rotwein. Aber nicht nur die Ernährung wirkte sich positiv aus, sondern auch der hohe Stellenwert der Familie. Wer krank wurde, bekam vom Hausarzt Medikamente und von allen Verwandten Zuwendung. In diesem Kosmos blieb ein Leiden – sei es seelischer oder körperlicher Art – nicht lange unentdeckt. Bei der zweiten Generation haben sich diese engen Bande aufgelöst. Die «Secondos» orientieren sich am individueller ausgerichteten Lebensstil ihrer neuen Heimat. Damit einhergehend haben sie auch die Ernährung umgestellt. Sie essen, wie die meisten von uns, immer mehr Fertigprodukte – mit den bekannten negativen Auswirkungen auf die Gesundheit.

Was lernen wir daraus? Gesund leben ist nicht allein eine Frage des Einkommens und heisst nicht, sich in Askese zu üben – Italien ist ja geradezu ein Synonym für Genuss und Geselligkeit. Gesunder Genuss heisst die Devise!


Pascal Strupler
Direktor des Bundesamts für Gesundheit

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